Neue Veranstaltung: die Blockflötenchallenge für eine Blockflötenklasse
Neue Veranstaltung: die Blockflötenchallenge für eine Blockflötenklasse

Neue Veranstaltung: die Blockflötenchallenge für eine Blockflötenklasse

Lesen Sie den Artikel von Dagmar Wilgo aus der Fachzeitschrift "Der Windkanal"

Song-Challenge für eine Blockflötenklasse

Was kann ich wie machen, um in einer langen (Lockdown-/Online-) Unterrichtsphase die Schülerschaft mit einem interessanten Projekt zu befassen? Was kann zusätzlich zum wöchentlichen Unterricht mit POP ON THE BLOCK oder Literaturspiel Spaß machen und übergeordnet die gesamte Blockflötenklasse bis zu den Osterferien tragen? Diese Fragen stellte ich mir Anfang Januar und daraus entstand die Song-Challenge mit dem Thema „Ostern“.

Eine Cloud als Voraussetzung

Eine Musikschul-Cloud war schon lange seitens des Kollegiums gewünscht worden, als 2020 die Musikschule der Stadt Neuss dem kostenfreien „Digital-Projekt des Vereins Pro RuhrMusikschulen e.V.“ mit Unterstützung des Regionalverbands Ruhr und des Verbandes deutscher Musikschulen e.V. beitrat. Genau gesagt, nennt sich diese Musikschulplattform „Smart-Musikschule - die digitale Antwort der Musikschulen auf Corona!“ und ist laut eigener Aussage 100% DSGVO-konform. Sie besteht aktuell aus drei Modulen:

-Nextcloud, eine quelloffene und freie Austauschplattform

-Jitsi-Meet, Talk und BigBlueButton, dass sind quelloffene und freie Video-Chat-Module, die auf eigenen Mietservern der RuhrMusikschulen laufen

-Moodle, eine quelloffene und freie Lernplattform, die von vielen Hochschulen der Welt eingesetzt wird und für Musikschulen angepasst wurde.

Im März kamen die Informationen, dass Sirius, ein Videokonferenzsystem mit Schwerpunkt auf optimaler Klangübertragung für Musikinstrumente und Gesang, von den 70 angeschlossenen Musikschulen lizenziert werden könne und dass der VdM die Übernahme der Trägerschaft „Smart-Musikschule“ vorbereite.

Bereits 2020 haben wir in der Nextcloud Fachbereichsordner installiert, wo Infos für das und vom Kollegium hinterlegt werden und jede Kollegin und jeder Kollege seinen eigenen Ordner mit dem persönlichen Speicherplatzkontingent von 10 GB hat, welches auf Antrag erweiterbar ist. Pädagogische Austausch-Clouds sind den Schülerinnen und Schülern aus der allgemeinbildenden Schule bekannt, aber würde es auch in einem übergeordneten Projekt für ein Quartal mit acht bis 85-jährigen Personen funktionieren?

Der Start in die Praxis

Am ersten Unterrichtstag nach den Weihnachtsferien habe ich eine Rundmail an alle mit dem Link zum Ordner „Song-Challenge“, einer Bedienungsanleitung für die technische Handhabung und dem Zeitplan gesandt. Der Link beinhaltete die Zugriffsrechte zum „Hochladen und bearbeiten“. Dies bedeutet, dass Schülerinnen und Schüler Ordner einstellen und darin Dateien hochladen, aber auch vorhandene Ordner bzw. Dateien bearbeiten sowie löschen oder verschieben können. Also sollten alle hier höchste Vorsicht walten lassen. Andernfalls müßte man entweder täglich selbst externe Sicherungen erstellen oder sonst alle wieder von vorne anfangen. Eigene Dateien aller Beteiligten sollten auf jeden Fall von jeder und jedem auf dem eigenen Computer gespeichert werden! Die Bedienungsanleitung enthielt weiterhin die Hinweise, wo genau die Buttons für die Ordnerstruktur und die Dialogfenster für Up- und Downloads zu finden seien. Der Zeitplan sah vor, drei Wochen vor den Osterferien alle Aufgaben erfüllt zu haben und dazu ZOOM-Konzerte für die letzte Woche vor den Osterferien. 

Die grundsätzliche Aufgabe war es, einen ausländischen Ostersong zu finden, welchen man selbst spielen kann. Jede Person sollte dann einen eigenen und namentlich gekennzeichneten Unterordner erstellen, worin wiederum der Upload des gefundenen originalen Songs mit Text plus sinnvoller deutscher Übersetzung im PDF-Format erfolgen sollte, damit es auf allen technischen Endgeräten gleichermaßen lesbar sowie nutzbar ist. Zusätzlich enthielt der Ordner „Song-Challenge“ eine von mir vorbereitete Tabelle inklusive Beispiel mit folgenden Spalten, die horizontal von allen Beteiligten selbst auszufüllen waren:

vertikal

-Schülernamen nach Unterrichtstag sortiert

horizontal

-Songtitel

-Ursprungsland

-Komponist und Texter mit Lebensdaten

-Quelle mit Jahresangabe

-Besetzung

-link zu Videoclip

-Theorieaufgaben wie Tonart und Taktart

-Namen der Helferinnen und Helfer bei der Songrecherche

-Familienmitglieder, die selbst Instrumente spielen und deren Instrument

-Namen der Kolleginnen und Kollegen der Musikschule, welche diese Familienmitglieder unterrichten

-Arrangements mit Instrumenten bzw. familiären Bordmitteln

-Spieldauer für das abschließende Online-Konzert.

Unterwegs im Projekt/Blitzlichter

Im Verlauf kamen folgende Hilfestellungen meinerseits hinzu:

-Als Helferinnen und Helfer bei der Recherche kommen - je nach Alter - die Familienmitglieder, die Verwandtschaft, Freunde sowie Klassen- und Sportkameraden oder das sonstige Umfeld in Betracht.

-Auf der rechtlich sicheren Seite ist, wer nach Songs mit einem der folgenden Zusätze sucht: Public Domain - also gemeinfreie Noten, Traditional (Trad.), Volkslied, Anonymus oder mit der Anmerkung „Frei zum Gebrauch für private oder gemeinnützige Zwecke (z.B. Chöre, Kindergärten, Schulen etc.)“. Bezüglich der Lebensdaten der Komponisten und Texter sollte das Sterbedatum mindestens 75 Jahre her sein.

-Bei der Suche nach Notenbeispielen hilft grundsätzlich die Recherche in der jeweiligen Landessprache (z. B.: Easter Songs) und die Kombination von Titel und Noten (z. B.: All in an Easter garden sheet music).

 

Auswahlkriterien für die Songs waren für die Beteiligten u. a. die norwegische Patentante, der nach Brasilien ausgewanderte Onkel, die niederländische Nachbarin sowie familiäre Wurzeln in Griechenland oder Serbien, dazu das bevorzugte Urlaubsland, in diesem Fall Frankreich. Ein chinesischer Schüler hat seine polnische Klassenkameradin gefragt und von ihr einen Song bekommen, wovon keine Noten im Internet zu finden waren. Er hat am Ende die Melodie anhand des Videoclips herausgehört und selbst notiert. Den Anfängern im Fünftonraum, die erst seit Oktober Unterricht haben, war ich bei der Suche behilflich, einen passenden Song zu finden. Manchmal habe ich auch bei der sprachlichen Überarbeitung der aus dem „Translator“ ausgeworfenen Übersetzungen und beim Upload der Dateien geholfen oder Songs in passendere Tonarten transponiert und darüber hinaus bei den Arrangements geholfen, sofern nötig.

Einige Schülereltern haben ihre Instrumentalkenntnisse (Klavier, Keyboard, Gitarre, Block- und Querflöte, Klarinette, Viola, E-Bass, Cajon) reaktiviert und mit ihren Kindern zusammen trainiert. Ebenso haben die Geschwister mit ihren Instrumenten (Klavier, Gitarre, Violine, Querflöte) mitgemacht. Andere Eltern und Geschwister begleiteten die Lieder mit - teils selbst gebastelten - Perkussionsinstrumenten, Haushaltsgegenständen oder mit Wasser gestimmten Flaschen. O-Ton: „Ich bin absolut unmusikalich!“ - „Sie waren doch sicher schon in Konzerten und können rhythmisch klatschen?“ - „Ja!“ - „Dann können Sie mitspielen!“. Das Klavier als Ablagestelle wurde abgeräumt und mir eine Anfrage nach zu entziffernden Begleit-Akkorden gesandt. Einer Schülermutter habe ich eine Tenorflöte ausgeliehen und keine 24 Stunden später erhielt ich von ihr ein mp3 mit der Begleitstimme zur Kontrolle. Es bildeten sich Familien-Bands, z. B. aus einer Schülerin mit Ehemann und erwachsener Tochter oder Oma mit Enkel (jeweils Corona-konform aus einem Haus), daneben Trios aus einem Vater und beiden Söhnen sowie Eltern mit Sohn oder Tochter.

Unterstützung von Kolleginnen und Kollegen der Musikschule habe ich ebenfalls angefragt. Sie haben für jene Familienmitglieder Begleitstimmen auf dem jeweiligen Spielniveau geschrieben, bzw. vorhandenes Material angepasst, welche - teils im permanenten Instrumentalunterricht in der Musikschule und teils per 10er-Karte - dabei sind.

Ergebnisse

In der Sammlung befindet sich Musik von um 1200 bis heute mit Songs aus dem europäischen Ausland, Brasilien, Papua-Neuguinea, Russland und den USA. Es gibt Sätze aus dem Glogauer Liederbuch, Kinder- und Volkslieder, kirchliche Lieder und einen Kanon aus Taizé bis hin zu Filmmusik sowie ein Chanson. Besonders zu erwähnen sind die Komposition einer in England lebenden Tante für ihren Neffen in Form von Variationen über „Hot Cross Buns“ und das Lied „Dispela de“ mit Tanzanleitung aus Papua-Neuguinea. Das Ziel, Songs in völlig unterschiedlichen Stilistiken und Besetzungen zu sammeln, wurde mühelos erreicht.

Unverhoffte Erkenntnisse ergaben sich ebenfalls. Das Parodieverfahren in seiner ursprünglichen Definition (Umgestaltung eines musikalischen Werkes) kommt in diesem Zusammenhang öfter vor. Man kann feststellen, dass ursprünglich deutsche Liedmelodien oder Choräle durch die Jahrhunderte in anderen Ländern (z. B. Großbritannien und Spanien) auftauchen und mit neuem Text unterlegt werden. Die Melodie von Händels „Tochter Zion“ erscheint als italienisches sakrales Osterlied (in Neuss wird diese Melodie auch zu Schützenfest gern gespielt) oder die Melodie des amerikanischen Liedes „John Brown“ wird in Spanien mit anderem Text als das Osterlied schlechthin gesungen. Das polnische Lied hat praktischerweise gleich zwei Textvariationen, eine für Weihnachten und die andere für Ostern.

Bis drei Wochen vor den Konzerten sollten alle Songs mit sämtlichen Details in den persönlichen Unterordnern stehen und die Tabelle ausgefüllt sein. Den Überblick behielt ich durch eine andere farbliche Markierung der Namen der Beteiligten. Aus den aktuellen Erfahrungen heraus, würde ich beim nächsten Projekt den Termin auf vier Wochen vor dem Konzert legen. Die Zeitspanne der kompletten Ergebnisse der einzelnen Beteiligten lag zwischen Tag eins der Challenge und fünf Tagen nach ihrer Deadline, hier war die Zeit für ein passendes Arrangement und dessen Training etwas eng.

Das Ziel: ZOOM-Konzerte

Die vorletzte Woche vor den Osterferien haben wir online als Generalproben-Woche genutzt, um noch einmal das Zusammenspiel, die Intonation, die Rhythmuspattern und das jeweilige Arrangement zu checken. Das hat - bis auf einen Homeoffice-Notfall eines Vaters - bei allen gut funktioniert. Am nachfolgenden Wochenende habe ich die Konzert-Programme und technischen Details für die ZOOM-Konzerte per Mail an alle verschickt. Den Einladungs-Link gab es jeweils am Konzerttag um 16.45 Uhr zur Weiterleitung an Familienmitglieder, Verwandte und Freunde. Einlass war 16.55 Uhr wegen der zeitlichen Begrenzung von 40 Minuten bei ZOOM-Meetings mit mehr als zwei Personen. Sollte diese Zeitgrenze absehbar überschritten werden, kann man entweder im Vorfeld verabreden, einen neuen Einladungs-Link zu senden oder sich überlegen, den Pro-Account zu finanzieren. Mit allen Familien-Bands war in den Proben verabredet worden, vor Konzertbeginn ihre jeweiligen Spielort in puncto Verbindung (LAN-Kabel am Endgerät sind immer stabiler als W-LAN), Beleuchtung, Kamera-Ausschnitt, Notenständer etc. einzurichten, damit es nahtlos von einem Programmpunkt zum nächsten gehen konnte.

Die Konzerte starteten in der letzten Woche vor den Osterferien jeweils pünktlich um 17:00 Uhr am eigentlichen Unterrichtstag der Beteiligten. Alle Zuhörerinnen und Zuhörer - bis zu Onkel und Tante in Brasilien - schaltete ich zu Beginn stumm, um unnötige Nebengeräusche zu vermeiden. Alle hatten für sich den Originalton ausgewählt, um Klangfilter auszuschließen. Die Spielerinnen und Spieler schalteten ihr Mikrophon selbst frei und anschließend wieder stumm. So ging es mit Kurzmoderationen zwischen den einzelnen Beiträgen zügig durch die Programme und immer erst am Schluß gab es einen geballten Applaus für alle! Selbst die mit 85 Jahren älteste Teilnehmerin war mangels anderer technischer Möglichkeiten per Telefon dabei! In einem einzigen Fall hat die Technik gestreikt und der Einladungs-Link ist im All verschollen.

Wir hatten bunte, vielfältige und ausgefallene Online-Konzerte mit hoch motivierten Musikerinnen und Musikern, hohem Spaßfaktor sowie enthusiastischem Publikum.

Fazit

An diesem interkulturellen und Generationen-übergreifenden Projekt haben knapp 40 Personen mit Lese- und Schreibberechtigung für den Ordner „Song-Challenge“ teilgenommen. Bis auf eine Panne in Form von Überschreiben eines Videoclip-Links einer anderen Person und einen komplett gelöschten Unterordner, sind nur kleine Fehler passiert. Ich habe weitere Facetten und Arbeitsweisen meiner Schülerinnen und Schüler kennengelernt und bin auf dem aktuellen Stand bezüglich der musizierenden Familienmitglieder. Durch die Recherche und die Proben für das Projekt ergab sich an verschiedenen Stellen ein sinnvoller und logischer Bezug zu verschiedenen geläufigen Unterrichtsinhalten: Gehörbildung, Musiktheorie, Musikgeschichte, Intonation und Timing vor allem für die jüngsten Beteiligten, die jetzt mit Stimm- und Metronom-Apps umgehen können. Die Anbindung sowohl der Schülerinnen und Schüler als auch ihrer Eltern an die Musikschule wurde durch dieses Familienprojekt verstärkt. Ausgelöst durch die Kooperation mit einem der Gitarrenkollegen der Musikschule, haben wir ein gemeinsames Weihnachtskonzert in Präsenz ins Auge gefasst. Mein eigenes Repertoire zum Thema „Ostern“ wurde erfreulicherweise erweitert und ich habe sogar Stücke für mein Erwachsenen-Ensemble gefunden. Die gemeinsam erstellte Song-Börse hat zum Abschluss auch die Aufgabe hervorgebracht, sich für die Osterferien zwei Lieder anderer Personen auszusuchen und danach im Unterricht vorspielen zu können.

Das Feedback der Schülerinnen und Schüler und ihrer Eltern war durchgängig positiv.

Eine Schülermutter hat sich eine neue Sopranblockflöte gekauft, um besser zusammen mit ihrer Tochter spielen zu können. Eine achtjährige Schülerin mit Unterricht seit Oktober hat ihrer Mutter ihren Song im Fünftonraum beigebracht - sie hatte vorher nie ein Instrument gespielt.

Das Feedback von Eltern:

Konstantinos St.: „Immer wieder gerne!“

Christina G.: „Es war ein schönes Konzert. Sehr vielseitig, ein Mix aus bekannten und unbekannten Liedern. Besonders hat mir das Zusammenspiel verschiedener Instrumente und Familienmitglieder gefallen.“

Silke D.: „Vielen Dank für dieses nette, kleine Konzert. Ich finde dieses Format sehr kurzweilig. Eltern und Kinder haben weniger Leerlauf bzw. Wartezeit und sind in dieser kleinen Runde mit viel Freude dabei. Zu sehen und hören an der zunehmenden musikalischen Mitwirkung. Heute waren ja praktisch alle Zuhörer mit eingebunden. Meine Mutter meinte schon, sie würde gern beim nächsten Konzert mit in die Begleitung einsteigen. Viel Spaß noch bei den anderen Konzerten!“

Das Feedback von Schülerinnen und Schülern:

Amelie und Paulina G.: „Wir waren sehr stolz unser (eigenes) Stück vorzuspielen. Das ganze Konzert war super toll.“

Ida D.: „Ich fand, das Konzert hat viel Spaß gemacht und ich fand es toll das mein Onkel, meine Tante, meine Oma und mein Opa dabei waren.“

Alexandra G.: „Danke für das Osterkonzert, es hat sehr viel Spaß gemacht. Es war eine sehr tolle Idee! Auch super war, dass mein Vater nach fast 25 Jahren wieder zum Keyboard spielen gekommen ist.“ (Er wird sich ein neues Instrument kaufen.)

Maria B. (eine erwachsene Schülerin): „Das war heute wieder eine richtig schöne Aktion (auch wenn der Ton nicht immer gut war). Musik verbindet einfach und hält Leib und Seele zusammen. Es war eine große Freude, alle zu sehen und natürlich alle zu hören. Auch die Idee, Familienmitglieder mit ins Boot zu nehmen, fand ich toll. Und wie sich gezeigt hat, werden alte Kenntnisse wieder aufgefrischt und der Spaß am Instrument wiederentdeckt. Einfach genial! Das Konzert war ein Lichtpunkt in dieser Zeit. Es braucht einfach viele kreative Ideen, um neue und ungewöhnliche Wege zu finden und zu gehen.“

Diese Challenge ist ein skalierbares und wirklich lohnendes Projekt, welches auf die Bedürfnisse der eigenen Vokal- oder Instrumentalklasse mit verschiedenen spannenden Themen und Aufgaben gut angepasst werden kann. Ich kann es sehr empfehlen!