15.06.2004 - Morgens lieber Muckefuck - Im Graben entdeckt: Die ältesten Kaffeekannen von Neuss

Neuss (PN/Fi/909). Morgens erst einmal eine heiße Tasse Kaffee, oder? Fehlanzeige! Noch vor 300 Jahren trank man am Niederrhein Bier zum Frühstück – und warmes noch dazu!

Hierbei handelte es sich aber keineswegs um eine angelsächsische Sitte, sondern man trank schwach alkoholisches Warmbier, das mit viel Milch versetzt auch als Biersuppe gelöffelt wurde. Erst um 1750 begannen auch die Handwerker zunehmend ihr Warmbier kalt werden zu lassen und gönnten sich eine Tasse des schwarzen Gebräus. Dies zeigen uns zwei zerbrochene Kaffeekannen, die fast 300 Jahre lang im Graben der ehemaligen Neusser Zitadelle geschlummert hatten und jetzt erstmals in einer Ausstellung über das Töpferhandwerk im Neusser Clemens-Sels-Museum zu sehen sind. Ein "Düppenbäcker" hatte sie hier zusammen mit anderen misslungenen Produkten entsorgt - damals wie heute die billigste Art der Abfallbeseitigung.

Muckefuck statt Warmbier

Bis in das 18. Jahrhundert hinein waren die Neusser große Biertrinker. Sogar in der heutigen Altbierstadt Düsseldorf bezog man seinerzeit Bier aus Neuss. Um 1500 lag der jährliche Bierverbrauch in Neuss sogar bei ca. 270 l je Einwohner - Kinder und Säuglinge eingerechnet! Heute erreicht der Bierkonsum in Neuss nur noch während des Schützenfestes Ende August derartige Spitzenwerte. Bier galt als Nahrungsmittel. In einer Zeit, in der das Trinkwasser von zweifelhafter Qualität war, da es oft aus Brunnen direkt neben den Latrinenschächten geschöpft wurde, war man mit dem schwach alkoholischen und weitgehend keimfreien Dünnbier auf der sicheren Seite. Zum Frühstück trank man warmes Dünnbier oder aß Biersuppen mit eingebrocktem Brot.Der Angriff auf den alltäglichen Bierkonsum kam aber nicht aus Reihen der Antialkoholiker. Vielmehr war es der von den Türken in Europa populär gemachte Kaffee, der Bier als universales Morgengetränk verdrängte.1677 hatte das erste Kaffeehaus auf deutschem Boden eröffnet - in Hamburg! Bis um 1720 blieb Kaffee jedoch noch ein ganz seltenes Luxusgetränk, das man auch als Heilmittel und sogar als Aphrodisiakum ansah. 100 Jahre später hatte der Kaffee aber schon die einfacheren Bevölkerungsschichten in Neuss erreicht, wie die kleinen Kaffeekannen aus dem Zitadellgraben am Rosengarten zeigen, die noch bis zum 25. Juli in der Ausstellung "Teller, Töpfer, Traditionen" zu sehen sind. Und 1790 wurde dann sogar bei der Beerdigung des Töpfers Gottfried Tieves, dessen Produkte ebenfalls in der Ausstellung gezeigt werden, Kaffee kredenzt – eine Sitte, die sich bis heute gehalten hat.Guter Bohnenkaffee war damals allerdings sehr teuer. Die weniger Begüterten behalfen sich mit allerhand selbst hergestelltem Kaffeeersatz. In der Not griff man sogar auf Bucheckern oder Eicheln zurück, auch wenn das aus ihnen gebraute Getränk nur entfernt an echten Bohnenkaffee erinnerte - Hauptsache, es ergab einen schwarzen Aufguss mit bitterem Geschmack. Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts wurde Ersatzkaffee auch fabrikmäßig hergestellt. Man brannte ihn aus der Wurzel der Zichorie, einem dem Chicoree-Salat verwandten Gewächs. In dem damals noch ländlich geprägten Neuss versuchte man auch, Kaffee aus selbst angebauten Feldfrüchten herzustellen. Aus gerösteter Gerste braute man einen Aufguss, den wir heute noch kennen - den "Muckefuck". Das Wort ist eine Verballhornung von "mocca faux", falscher Kaffee, eben Muckefuck.Und wie schmeckt nun der selbstgebrannte Muckefuck? Das kann demnächst in Neuss jeder selbst probieren - wenn der Kinderbauernhof in der Neusser Kulturnacht am 19. Juni 2004 vor dem Clemens-Sels-Museum frisch gebrannten Gerstenmalzkaffee kredenzt.

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