23.06.2004 - Aktion gegen Schulschwänzen

Neuss (PN/Fi). “Blaumachen” – das tat wohl schon jeder mal in seiner Schulkarriere. Doch dieses “Kavaliersdelikt” entwickelt sich zu einem größeren Massenphänomen.

Das Deutsche Jugendinstitut München fand in einer Studie heraus, dass jeder dritte Schulschwänzer Straftaten begeht. Der Arbeitskreis Jugendhilfe/Schulen hat sich daher dieser Problematik angenommen um frühzeitig sinnvolle Hilfe anzubieten. In einer Befragung wurden Zahlen bei den verschiedenen Schulformen über Schulschwänzerinnen und Schulschwänzer erfasst. Daraufhin haben verschiedene Ämter der Stadt unter der Federführung des Jugendamtes gemeinsam mit dem Kreisschulamt und der Kreispolizeibehörde "Jugendschutzstreifen" eingesetzt. Diese haben Schulschwänzer angesprochen und versucht mit ihnen ins Gespräch zu kommen. Seit Anfang Mai fanden insgesamt sechs solcher Schulschwänzer-Aktionen in Neuss statt. Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen erklärte hierzu, dass Jugendliche, die massiv schwänzen, mindestens viermal so kriminell wie ihre Altersgenossen sind, die die Schule regelmäßig besuchen. In einer Fragebogenaktion Anfang 2003 wurden zunächst Daten ermittelt. Folgende Zahlen wurden für ein Schulhalbjahr genannt und beinhalten unter 30 bis über 150 Fehlstunden im Halbjahr:

5 Hauptschulen, 531 Schulschwänzer/innen

2 Gesamtschulen, 58 Schulschwänzer/innen

1 Sonderschule (von 2), 45 Schulschwänzer/innen

4 Realschulen (von 5), 19 Schulschwänzer/innen

3 Gymnasien (von 5), keine konkreten Zahlenangaben, Problem sei jedoch bekannt

Als weiteren Schritt um die Entwicklungen des Schuleschwänzens in Neuss zu beobachten, die jungen Menschen im öffentlichen Raum anzusprechen und alle Betroffene auf das Verhalten einzelner Schülerinnen und Schüler aufmerksam zu machen, wurde eine "Schulschwänzeraktion" geplant. Die verschiedenen Ämter der Stadt, Ordnungsamt, Schulverwaltungsamt, federführend das Jugendamt gemeinsam mit dem Schulamt für den Kreis Neuss und der Kreispolizeibehörde bildeten "Jugendschutzstreifen", die in der Innen-, Nord-, und Südstadt eingesetzt wurden. Täglich von 10 bis 12 Uhr waren diese Streifen zunächst an vier Tagen (3. bis 6. Mai 2004) unterwegs. Zunehmend wurde festgestellt, dass im Norden und Süden (in Parks, Spielplätzen etc.) kaum - am Ende gar nicht mehr - Jugendliche angetroffen wurden.Hauptsächlich in der Innenstadt wurden Schulschwänzer angesprochen, jedoch mit abnehmender Tendenz. Die Aktion, die zunächst für 14 Tage geplant war, wurde verkürzt auf sechs Tage, wobei die letzten zwei Tage nur noch in der Innenstadt kontrolliert wurde. In dieser Woche wurde erneut in der Innenstadt kontrolliert, wobei die Anzahl der schuleschwänzenden Schülerinnen und Schüler deutlich niedriger war. Weitere Aktionen sind geplant. Aktionsstatistik

6 Tage a 2 Stunden

12 Kontrollstunden, 43 Schulschwänzer/innenAufteilung nach Geschlecht

16 Schülerinnen - 27 SchülerAltersstruktur:

10 Jahre............................................................1

11 Jahre............................................................0

12 Jahre............................................................6

13 Jahre............................................................5

14 Jahre............................................................9

15 Jahre..........................................................10

16 Jahre............................................................6

17 Jahre............................................................4

18 Jahre............................................................5

Auswertung und Ausblick

Das Jugendamt - Kooperation Jugendhilfe/Schulen - und das Schulamt für den Kreis Neuss wollten mit dieser Aktion auch ein Zeichen setzen für unterstützende Erziehungsarbeit von Elternhaus und Schule. Von großer Bedeutung war bei dieser Aktion mit den jugendlichen Schulschwänzerinnen und Schulschwänzern ins Gespräch zu kommen, den "Wert" Schulbesuch zu verdeutlichen um Zukunftschancen zu wahren, aber auch deutlich zu machen, dass Erwachsene im Erziehungs- und Bildungssystem bereit sind Grenzen aufzuzeigen und deren Einhaltung zu überwachen,.Die Grundhaltung "ihr seid uns nicht egal, eure Zukunft ist uns wichtig, nehmt sie ebenfalls ernst", war dafür entscheidend, dass die angesprochenen Kinder und Jugendlichen überwiegend positiv reagierten. Sie zeigten Schuldbewusstsein und Gesprächsbereitschaft. In einigen Fällen wurde auch konkret Einzelberatung angeboten. Die Sozialarbeiterinnen des Jugendamtes haben im Einzelnen auch mit den entsprechenden Schulen (Klassenlehrern) Kontakt aufgenommen um Kinder/Jugendlichen und deren Eltern in der jeweiligen Situation zu beraten und eventuell zu begleiten.Die große Mehrheit der Kinder und Jugendlichen schwänzte "einfach so", keine Lust auf Vertretung, auf ein bestimmtes Fach oder weil es in der Stadt schöner ist als in der Schule. Es entstand insgesamt der Eindruck "Schulbesuch" wird nicht als ein Muss bzw. nicht so wichtig genommen, sondern ab und zu schwänzen eher als ein Abenteuer angesehen. Während bei den angesprochenen Gymnasiasten und Realschülern eher einzelne Stunden geschwänzt wurden und deutlich ein größeres Schuldbewusstsein vorhanden war, zeigte sich bei den Haupt- und Sonderschülern oft, dass sie den ganzen Tag der Schule fernblieben. Die meisten Hauptschüler gingen jedoch auf Anweisung in ihre Schulen zurück, die Sonderschüler - vor allem die Schüler der Sonderschule E - waren nicht zu beeindrucken. Selbst nach Aufforderung gingen die meisten nicht in den Unterricht. Angetroffen wurden die Kinder/Jugendlichen hauptsächlich bei Mc Donalds, auf der Straße und in einzelnen Cafés bzw. Geschäften. Im Internetcafé auf der Krefelder Straße wurden an zwei Tagen Schulschwänzer angetroffen. Außerdem musste - ungeplant, da im Rahmen dieser Aktion - dreimal ein Polizeieinsatz im Internetcafé erfolgen. Zwei Jugendliche waren als vermisst gemeldet, ein Jugendlicher wurde wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Gewahrsam genommen.Die Teilnahme des Schulamtes und von Vertretern der Schulen an den "Streifen" wurde von allen Beteiligten (Ordnungsamt, Polizei, Jugendamt) als besonders positiv bewertet, weil durch gemeinsames Handeln die gesamte Aktion eine starke pädagogisch-jugendhilferechtliche Komponente erhielt. Inzwischen liegen mehrere positive Reaktionen von Schulen, Eltern und einem Jugendwohnheim vor.Als ein Resümee dieser Aktion kann davon ausgegangen werden, dass mit gelegentlichen "Jugendschutzstreifen" ein stärkeres Augenmerk auf gelegentliches Schwänzen als Einstieg für Dauerschwänzer gelegt werden kann. Nach wie vor obliegt ausschließlich den Schulen die Überwachung der Einhaltung der Schulpflicht. Allerdings gilt das "Schuleschwänzen" als ein nicht unwesentlicher Faktor, der neben Mängeln in der Erziehung und negativer Sozialisation durch ungünstige Verhältnisse im sozialen Umfeld der Kinder und Jugendlichen deviantes und kriminelles Verhalten begünstigt. So besteht zum Beispiel die Gefahr, dass die Schulschwänzer/innen im Bewusstsein des bereits begangenen Normverstoßes des “Schuleschwänzens” sich vermeintlich Gleichgesinnten (andere Schulschwänzer, soziale Randgruppen, Punks, Drogenabhängigen etc.) an bekannten öffentlichen Treffpunkten anschließen bzw. unter deren Einfluss geraten. Hier sehen sie die Möglichkeit, Anerkennungsdefizite des eigenen sozialen Umfeldes zu kompensieren, indem sie sich, angespornt z. B. in gruppendynamischen Prozessen, zu deviantem Verhalten und kriminellen Handlungen hinreißen lassen.Die Überlegung eine solche Aktion zwei bis dreimal jährlich an ein bis zwei Tagen durchzuführen, könnte dazu führen Gelegenheitsschwänzer abzuschrecken und eventuell ein Einstieg in regelmäßiges Schwänzen erschweren oder gar verhindern. Allerdings müssten darüber hinaus weitere Ansatzpunkte erarbeitet werden, um dem Problem des Dauerschwänzens zu begegnen. Häufig stammen Schulschwänzer aus einem problematischen familiären Umfeld. Insbesondere Jugendliche mit Erfahrungen familiärer Gewalt treten überproportional häufig als massive Schulschwänzer auf.Ein konzeptionell aufeinander abgestimmtes Vorgehen aller Kräfte (Jugendamt, Schulaufsicht, Schulen, Ordnungsamt, Polizei) ist bereits in Neuss unter anderem durch den bestehenden Arbeitskreis Jugendhilfe/Schulen möglich. Auch durch die Einrichtungen von Schulwerkstätten wie Blitz (Hauptschule Gnadentaler Allee / Kontakt Erfttal) und Kolping / Heinrich-Böll ist bereits in Neuss eine gelebte Kooperation zwischen Jugendhilfe und Schulen entstanden, die auf die besondere "Klientel" der hartnäckigen Schulverweigerer eingeht. Darüber hinaus ist ein weiteres Arbeiten an diesem Thema mit allen Beteiligten auch in Zukunft gewährleistet. *