Bürgermeister Reiner Breuer spricht an einem Podium -- im Hintergrund sieht man das mit Blumen gesäumte Mahnmal an der Promenadenstraße.

Gedenkstunde zum Novemberpogrom 1938:

Neuss erinnert an die Opfer und mahnt zu Haltung und Verantwortung

Bei der Gedenkstunde am Mahnmal Promenadenstraße erinnerten Vertreterinnen und Vertreter der Jüdischen Gemeinde, der christlichen Kirchen, Schülerinnen und Schüler sowie Bürgermeister Reiner Breuer an die Gewalt der Novemberpogrome von 1938 – und an die Verantwortung, Hass und Antisemitismus auch heute entschieden entgegenzutreten.

Am Montag, 10. November 2025, fand am Mahnmal an der Promenadenstraße die Gedenkstunde zum Novemberpogrom 1938 statt. Vertreterinnen und Vertreter der Jüdischen Gemeinde, der christlichen Kirchen, der Politik, Schülerinnen und Schüler sowie zahlreiche Bürgerinnen und Bürger erinnerten gemeinsam an die Ereignisse der Pogromnacht und mahnten, der Verantwortung für Gegenwart und Zukunft gerecht zu werden.

Eröffnung und gemeinsames Gedenken

Bürgermeister Reiner Breuer eröffnete die Veranstaltung und erinnerte daran, dass auch in Neuss in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 jüdische Geschäfte zerstört, Menschen misshandelt und die Synagoge an der Promenadenstraße in Brand gesetzt wurden.

„Wir gedenken heute den Opfern – unseren ehemaligen Nachbarinnen und Nachbarn“, sagte Breuer. „Die Ereignisse von 1938 zeigen, was geschehen kann, wenn Menschen wegsehen und Mitmenschlichkeit verstummt.“

Der Bürgermeister betonte zugleich, dass die Gegenwart neue Verantwortung einfordere. Antisemitische Vorfälle hätten in Deutschland stark zugenommen; auch in Nordrhein-Westfalen seien laut der Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus Nordrhein-Westfalen 940 Fälle im Jahr 2024 registriert worden – ein Anstieg um 42 Prozent. 

„Deshalb dürfen wir nicht wegschauen. Neuss muss eine Stadt bleiben, in der Hass und Hetze keinen Platz haben“, so Breuer.

Beiträge der Jüdischen Gemeinde und des Vereins für christlich-jüdische Zusammenarbeit

Bert Römgens, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde Neuss, erinnerte in seiner Ansprache an die Zerstörung der Neusser Synagoge im Jahr 1938 und an die systematische Verfolgung jüdischer Familien in der Stadt. Er verband die historischen Ereignisse mit der aktuellen Situation jüdischen Lebens in Deutschland.
Die Folgen des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023 hätten die Sicherheitslage für Jüdinnen und Juden spürbar verschärft. Römgens berichtete von zahlreichen antisemitischen Vorfällen der vergangenen Monate und appellierte: 

„Benennen Sie Antisemitismus. Immer. Und setzen Sie sich aktiv ein für eine respektvolle und vielfältige Gesellschaft.“

Auch Dorothea Gravemann von der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit richtete deutliche Worte an die Teilnehmenden. Sie erinnerte an die staatlich organisierte Gewalt des Jahres 1938 und ging auf die Polarisierung im öffentlichen Diskurs seit 2023 ein. Sie forderte, der Verharmlosung oder Relativierung antisemitischer Positionen entschieden entgegenzutreten: 

„Antisemitismus betrifft nicht nur die Opfer, sondern vergiftet die gesamte Gesellschaft.“

Schülerinnen und Schüler gestalten das Gedenken aktiv mit

Einen besonders eindrucksvollen Teil der Veranstaltung gestalteten die Schülerinnen und Schüler der Gesamtschule an der Erft. Sie berichteten von ihrer Gedenkstättenfahrt nach Auschwitz I und Auschwitz-Birkenau, die sie vor wenigen Tagen absolviert hatten.
Die Jugendlichen schilderten, wie konkret und schmerzhaft Geschichte dort erfahrbar wird: die Baracken, die zurückgelassenen persönlichen Gegenstände, das riesige Gelände von Birkenau, an dem sie eine Schweigeminute für die während der Shoah ermordete Neusser Familie Lehmann abhielten.

Die Begegnung mit der Zeitzeugin Hanna Kleinberg habe sie besonders bewegt. Ihre Lebensgeschichte habe gezeigt, dass der Verlust jüdischen Lebens nicht nur historisch sei, sondern in Familien und Biografien bis heute nachwirke.

Zum Abschluss trugen die Schülerinnen und Schüler ein während der Fahrt entstandenes Gedicht vor. Es thematisiert Schmerz, Entmenschlichung, Verlust – aber auch die Hoffnung, dass Erinnerung zu Menschlichkeit führt.

Klarer Appell: Erinnerung braucht Haltung

Alle Redebeiträge verband ein gemeinsamer Gedanke: Erinnerung ist notwendig, aber sie allein reicht nicht. Sie müsse von Haltung, Widerspruch und Verantwortung begleitet werden – in Schulen, Vereinen, Nachbarschaften und im digitalen Raum.

Bürgermeister Breuer formulierte es so:
„Erinnerung ist der stärkste Schutz gegen das Vergessen. Aber sie braucht Mut, eine Stimme und Menschen, die nicht wegschauen.“

 

Impressionen von der Gedenkveranstaltung